Corona verschärft die Angst

Bild und Text Anne Neul, Neue Westfälische

Seit Beginn der Corona-Pandemie nehmen die Angststörungen zu. Jeder zweite Anruf bei der Hypnosetherapeutin ist eine Anfrage zur Raucherentwöhnung. Zu Sibylle Lätzsch kommen Menschen, die nicht mehr aus dem Haus gehen, nicht mehr auf die Autobahn fahren, nicht mehr fliegen. Oder jede Nacht mit Panikattacken aufwachen. Oft haben sie schon eine Odyssee an Arztbesuchen und Therapien hinter sich, bevor sie auf dem Sessel in Lätzsch‘ Praxis Platz nehmen und gemeinsam mit ihr die Ursache für ihr Leiden finden.

Sibylle Lätzsch ist Heilpraktikerin und Hypnosetherapeutin, seit 2015 mit eigener Praxis in Bünde. Die meisten Klienten suchen sie wegen ihrer Panik- und Angststörungen auf. Zehn bis zwölf Millionen Angstpatienten gebe es in Deutschland, sagt Lätzsch. Zu ihr kommen aber auch Firmenchefs mit Burn-out, Kinder mit Schulangst oder Depressionen, Übergewichtige, die abnehmen wollen und Raucher, die aufhören wollen zu rauchen. Seit Beginn der Corona-Pandemie sei jeder zweite Anrufer ein Raucher, der sich das Rauchen abgewöhnen wolle, erzählt Lätzsch.

Klienten kommen vom Chiemsee bis nach Helgoland.

Die Hypnosetherapeutin ist weit über Bündes Grenzen hinaus bekannt: Ihre Klienten kommen aus ganz Deutschland, vom Chiemsee bis nach Helgoland, in ihre Praxis. Sie habe häufig Klienten, die seien äußerlich erfolgreich, erzählt Lätzsch. Bei denen dächte man: was will derjenige mehr? „Aber wenn Sie im Muster von „Ich bin nicht gut genug“ leben, dann können Sie eine große Firma mit vielen Mitarbeitern leiten und eine glückliche Familie haben, und trotzdem ist das alles nie genug.“ Deshalb erkrankten einige dieser Menschen irgendwann an Burn-out. Andere Klienten erlebten beim Autofahren plötzlich eine Panikattacke. Das Autofahren sei aber nicht die Ursache der Panik, sondern lediglich der Auslöser. „Es geht dann nicht darum, das Autofahren zu trainieren“, sagt Lätzsch. Jeder Mensch lerne unterschiedlich gut, mit Stress umzugehen. Schauten wir uns belastende Gefühle nicht an und bearbeiteten sie nicht, sei das wie ein Fass, dass sich langsam Tropfen für Tropfen füllt und irgendwann überläuft. „Das ist der Moment, in dem durch eine körperliche Erkrankung oder auch durch Ängste und Depressionen klar wird, dass irgendetwas falsch läuft“, sagt Lätzsch. Interessant sei es, zu gucken, welches der erste Tropfen gewesen sei. Wann hat das Fass angefangen, sich zu füllen? Mit welchem Erlebnis? Sie gucken: Wo kommt die Angst her? Sibylle Lätzsch geht mit ihren Klienten zurück an den Anfang. Zum ersten Tropfen.

Angststörungen entstünden häufig im Alter von null bis drei Jahren. Deshalb sei den Betroffenen meist nicht bewusst, woher die Angst kommt. „Die Menschen wissen, dass ihre Angst nicht real ist und sie nicht sein müsste“, sagt Lätzsch. „Dass kein Monster sie auffrisst, sobald sie aus der Tür treten. Aber sie fühlen sie. Beim Gedanken daran, das Haus zu verlassen, rast ihr Herz und ihre Hände schwitzen.“Eine Angststörung sei ein Hilfeschrei des Unterbewusstseins: Hier passt was nicht!, sagt Lätzsch. Es habe uns davor 1.000 Impulse gesendet, die wir ignoriert hätten: Magenprobleme, Herz-Kreislauf-Beschwerden. Deshalb sende es den Betroffenen nun eine stärkere Nachricht. Eine Firmenchefin, eine erfolgreiche Unternehmerin, wachte jede Nacht mit Panikattacken auf. Ihr Umfeld wusste nichts davon, nicht einmal ihr Mann. Sie ging jeden Morgen zur Arbeit, wie immer.

„Corona ist Futter für die Angst“

Seit Beginn der Corona-Pandemie nähmen die Angststörungen zu, sagt Lätzsch. Menschen, die vorbelastet seien, seien in diesen Zeiten besonders anfällig dafür, eine Angststörung zu entwickeln. „Corona ist Futter für die Angst.“ Viele Klienten befürchteten, in der Hypnose die Kontrolle zu verlieren oder manipuliert zu werden. „Manipulation ist unter Hypnose nicht möglich“, sagt Lätzsch. Unser Gehirn habe mehrere Sicherungssysteme. „Wenn der Klient nicht will, zum Beispiel eigentlich gerne weiterrauchen würde, dann klappt die Raucher-Entwöhnung nicht.“ Es passiere nichts, was der Klient nicht wolle.In Hypnose fokussiere der Klient nach innen und blende alles aus, was er normalerweise sonst noch alles im Bewusstsein habe. Ähnlich, wie wenn er ein Buch lese. Er sei fokussiert, aber ansprechbar. Und völlig entspannt. Ein Zustand, den vor allem Angstpatienten oft seit Jahren nicht mehr erlebt hätten, sagt Lätzsch. Sie leitet die Klienten in ihr Unterbewusstsein. „Da ist jede Millisekunde unseres Lebens gespeichert. Wie eine Festplatte.“ Dort existierten weder Raum noch Zeit. Deshalb fühlten sich auch sehr frühe Erfahrungen sehr frisch an.“Wir können die Geschichte nicht verändern – aber unsere Wahrnehmung“

Viele Klienten hätten Angst, dass in der Hypnose schlimme Erfahrungen und/oder starke Gefühle hochkämen. Das komme vor, sei aber längst nicht immer der Fall. Die Klienten würden nach dem Vorgespräch erkennen, dass die Erfahrungen, die sie in der Hypnose machen, deutlich weniger belastend sind als angenommen. Und sie helfen, sich in Zukunft besser zu fühlen. Es sei Aufgabe des Therapeuten mit diesen Dingen verantwortungsvoll umzugehen, so dass sich der Klient in jedem Moment sicher fühle, sagt Lätzsch. Häufig gehe es um Gefühle wie Hilflosigkeit. Habe sich der Klient in der Kindheit in einer prägenden Situation hilflos gefühlt, erlebe er häufig auch als Erwachsener immer wieder Gefühle der Hilflosigkeit. Lätzsch guckt immer nach der Ursache. In der Hypnose erlebe der Klient die Situation noch einmal wie als Kind. Das sei unter Umständen kurz traurig oder unangenehm. Dafür klärten sie die Situation und behandelten das Gefühl. Andernfalls erlebe der Klient diese Gefühle weiterhin täglich – über Jahre und Jahrzehnte. „Wir können an der Geschichte nichts verändern. Aber an unserer Wahrnehmung“, sagt Lätzsch.

Nach drei Jahren das Haus wieder verlassen

Was sie und der Klient unter der Hypnose sagen, wirkt 200- bis 300-fach so stark, als wenn sie sich normal unterhalten. Deshalb sei die Hypnosetherapie so erfolgreich. Gemeinsam programmieren sie das Unterbewusstsein in der Hypnose um. Die Sitzungen sind intensiv und können auch mal mehrere Stunden dauern. Meist brauchten die Klienten lediglich ein bis zwei, maximal drei bis vier Sitzungen, um wieder angstfrei zu leben.

Sibylle Lätzsch freut sich mit ihnen über ihre Erfolge. So wie mit einem jungen Mann, der drei Jahre lang nicht das Haus verlassen hatte. Er überwand sich, zu Lätzsch in die Praxis zu kommen. „Die Sitzung war am Dienstag, am Samstag ist er mit seiner Frau auf ein Konzert gegangen.“

vom

Sibylle Lätzsch
Heilpraktiker
in Bünde auf jameda